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REHES: Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft in der Schweiz

Tagungsbericht

Am zweiten und dritten September 2019 folgten über 70 Personen der Einladung des Kompetenzzentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung CHESS, in Bern gemeinsam den Status Quo und Entwicklungspotentiale der Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft in der Schweiz zu reflektieren.

Dazu gaben rund 30 Vorträge Einblick in laufende empirische Forschungsprojekte und stellten Überlegungen konzeptueller sowie organisatorischer Art vor.

Die grosse Zahl und die geographische wie disziplinäre Vielfältigkeit der Teilnehmenden war äusserst erfreulich. So reisten Forscherinnen und Forscher aus der Westschweiz, dem Tessin und der Deutschschweiz an, die unter anderem Beiträge aus der Bildungsforschung, der Geschichte, der Hochschul- und Wissenschaftsforschung, der Kommunikationswissenschaft und der Organisationssoziologie beisteuerten.

Eva Barlösius beantwortet Fragen aus dem Plenum
Eva Barlösius beantwortet Fragen aus dem Plenum

Vom Krähennest der Wissensgesellschaft…

Den Auftakt der Veranstaltung machte die Soziologin Eva Barlösius mit einer Keynote zum Thema «Nach dem Exzeptionalismus, auf dem Weg zu Open Science?» Sie schlug in ihrem Vortrag insbesondere vor, Hochschulen und Wissenschaft vor dem Hintergrund einer Wissensgesellschaft und damit auch im Zusammenhang mit anderen sozialen Bereichen der Schaffung und Bewahrung von Wissen zu analysieren. Dies eröffne spannende Perspektiven und schütze auch vor der impliziten Prämisse eines «Exzeptionalismus» von Hochschulen und Wissenschaft in der Gegenwartsgesellschaft, der die Bedeutung und Besonderheit des Hochschulsektors überschätze. Sie plädierte dabei zudem insbesondere für Interdisziplinarität in der Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft.

Als Gründerin des Leibniz Forschungszentrums Wissenschaft und Gesellschaft der Leibniz Universität Hannover bot sie der Tagung nicht nur eine breite thematische Rahmung, sondern gab auch einen Ausblick auf Chancen und Herausforderungen des Aufbaus und der Konsolidierung von Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft.

Teilnehmende hören Vorträgen zu
Teilnehmende hören Vorträgen zu

… über die Vielfalt konkreter Forschungsprojekte…

Im Anschluss an den Eröffnungsvortrag von Eva Barlösius wurden am Montagnachmittag und am Dienstagvormittag verschiedene laufende Forschungsprojekte und Reflexionen zum Stand der Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft in der Schweiz vorgestellt. Gerade angesichts der disziplinären und auch thematischen Diversität der Beiträge, die im Verlauf des Workshops präsentiert wurden, stellte Barlösius’ Eröffnungsvortrag eine fruchtbare Rahmung für die folgenden Präsentationen dar. Denn im Verlauf des Workshops wurde deutlich, wie reichhaltig und vielgestaltig die Forschung in der Schweiz bereits ist.Die Forschungsinteressen umfassen thematisch unter anderem Spin-Offs an Fachhochschulen, Bildungswege zu Hochschulen, Hochschul- und Wissenschaftskommunikation, Steuerung von Hochschulen, Migration und Hochschulen, Studienabbrüche, Effekte der Bologna-Reform, Hochschulbibliotheken und Internationalisierung. 

… zu handlungsorientierten Herausforderungen der Hochschulgovernance

Am Montagabend bot eine Podiumsdiskussion zum Thema Hochschulgovernance, an der sich Prof. Dr. Astrid Epiney (Rektorin Universität Fribourg), Dr. iur. Christoph Eymann (Nationalrat, Alt-Erziehungsdirektor Basel-Stadt), Prof. Dr. Markus Hodel (Rektor Hochschule Luzern), Prof. Dr. Sabina Larcher (Direktorin PH FHNW) wie auch Prof. Dr. Christian Leumann (Rektor Universität Bern) beteiligten, Einblicke in die Herausforderungen des Hochschulmanagements.

Die Podiumsteilnehmenden diskutierten darüber, was unter Hochschulgovernance konkret zu verstehen sei, und worin die internen und externen Herausforderungen der Hochschulgovernance für die Beteiligten liegen. Weiterführende Fragen zur Podiumsdiskussion wie auch zu den Vorträgen konnten am Montagabend bei einem Apéro im Restaurant Grosse Schanze in informalen Gesprächen vertieft werden.

Gruppengespräche während des Workshops
Gruppengespräche während des Workshops

Stärkere wechselseitige Wahrnehmung und Koordination als Chance

Bei aller Diversität der am Montagnachmittag und Dienstagvormittag vorgestellten Forschungsinteressen wurden immer wieder auch konzeptuelle und methodische Nachbarschaften deutlich. So zeigte sich in verschiedenen Ausprägungen, dass es wünschenswert wäre, wenn die wechselseitige Wahrnehmung und Koordination der Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft in der Schweiz verstärkt würde. Beispielsweise wurde diskutiert, dass Bedarf dafür besteht, dass sich Forscherinnen und Forscher im Bereich der Survey-Forschung stärker unterstützen und koordinieren. Auch wenn es um Fragen des Zugangs zu verschiedenen Hochschulen als Forschungsgegenstand und die Möglichkeit komparativer Forschung geht, wurde eine stärkere Vernetzung der wissenschaftlichen Community als attraktive Option diskutiert.

Vor dem Hintergrund des Desiderats stärkerer wechselseitiger Sichtbarkeit und Koordination diskutierten die Workshopteilnehmenden am Dienstagnachmittag in kleineren Grup-pen, welche thematischen Verdichtungen und institutionellen Entwicklungspotentiale als wünschenswert erscheinen. Die Kernpunkte der Gruppendiskussionen wurden anschliessend stichwortartig gebündelt und in der abschliessenden Plenumsdiskussion miteinander verglichen (siehe Tabelle zur Übersicht im Tagungsbericht als pdf). (PDF, 1 MB)

Ausgewählte Resultate der Gruppendiskussion zu Forschungsthemen
Ausgewählte Resultate der Gruppendiskussion zu Forschungsthemen

Thematische Fluchtpunkte zukünftiger Forschung

Nachdem die Projektvorstellungen am Montagnachmittag und Dienstagvormittag die Reich-haltigkeit und Vielfalt der Forschung verdeutlichten und die Wünschbarkeit stärkerer Koordination zutage trat, war der Dienstagnachmittag der Frage nach thematischen und institutionellen Entwicklungspotentialen gewidmet. In kleineren Gruppen wurde so in einem ersten Schritt über Themen diskutiert, um die herum sich eine stärkere Vernetzung der Forschung in der Schweiz entwickeln könnte.

Auch wenn die Diversität der laufenden Forschungsprojekte in diese Diskussion selbstverständlich durchschien, so zeigten sich dennoch Ansätze möglicher Fokusthemen. So war das Verhältnis der Wissenschaft resp. des Hochschulsektors zu Ge-sellschaft und zu gesellschaftlichen Teilbereichen unter Stichworten wie «Gesellschaftliche Funktion von Hochschulen, «HEI a spart of society» oder «Third mission», «Rolle von Hoch-schule und Wissenschaft in der Gesellschaft» oder «politische Vereinnahmung» eine wiederholt genannte Fluchtlinie einer stärkeren Bündelung zukünftiger Forschung. Ebenfalls war die interne Strukturierung und interne Prozesse des Hochschulfeldes ein wiederholt genanntes Forschungsthema. Dieses wurde zum Beispiel mit Stichworten wie «HE System CH – types of HEI», «Differenzierung / Entdifferenzierung von Hochschultypen», «Hochschulgovernance – System», «Ausdifferenzierung des tertiären Sektors» oder «Digital Transformation» ange-spielt. Auch Forschungsthemen, die eher interne Prozesse von Hochschulorganisationen fo-kussieren, wurden zum Beispiel unter Stichworten der «Bürokratisierung», «Verhältnis von Strukturen und Expertise in Organisationen», «Hochschulgovernance – Institutionen» oder «Personalpolitik an FH mit vierfachem Leistungsauftrag» diskutiert. Weiterhin wurde mit Stichworten wie «academic careers» oder «trajectories of individuals» auch die Wichtigkeit von Forschung zu den (berufs-)biographischen Wegen, die Individuen im Hochschulfeld zurücklegen, herausgestellt. 

Bei aller Diversität der Interessen und Beiträge zeigte sich so, dass die Interessen der Forschungscommunity entlang verschiedener Grössenordnungen sozialer Phänomene an Kontur gewinnen. So wurden Interessen an makrosoziologischen Fragen deutlich (Wissenschaft und Hochschulen in der Wissensgesellschaft, Hochschulsektor und andere gesellschaftliche Teil-bereiche). Auch die Mesoebene von Hochschulorganisationen wurde mehrfach thematisiert (Governance, Personalpolitik, Bürokratisierung). Fragen auf der Mikroebene einzelner Individuen (adademische Karrieren, individuelle Trajektorien) wurden ebenfalls wiederholt heraus-gehoben. Dies stellt gewiss einen vielversprechenden Ausgangspunkt für eine in der Breite sich strukturierende und stärker integrierte Forschungslandschaft dar.

Ausgewählte Resultate der Gruppendiskussionen zu wünschenswerten Aspekten stärkerer Institutionalisierung
Ausgewählte Resultate der Gruppendiskussionen zu wünschenswerten Aspekten stärkerer Institutionalisierung

Mögliche Formen einer stärkeren Institutionalisierung

In einem zweiten Schritt wurden Schritte und Formen eines stärkeren Austauschs von Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft diskutiert. Dabei identifizierten die Diskussionsgruppen wünschenswerte und zu vermeidende Momente einer stärkeren Institutionalisierung.

Als mögliche Formen der Organisation wurde zum Beispiel die Gründung eines Vereins genannt oder der Aufbau eines Netzwerkes, das an möglichst vielen Hochschulen verankert ist. Die gewünschten Funktionen der stärkeren Institutionalisierung bezogen sich besonders auf einen erleichterten Informationsaustausch und stärkere Möglichkeiten der Kollaboration. Dazu diskutierten die Diskussionsgruppen zum Beispiel über regelmässige Workshops, eine Mai-lingliste, eine Webseite, eine gemeinsame Datenbank oder eine eigene Fachzeitschrift als Möglichkeiten der stärkeren Institutionalisierung.

In der Diskussion stellte sich auch heraus, dass die Verankerung in der wissenschaftlichen Community stark sein sollte, um zum Beispiel einer politischen Vereinnahmung vorzubeugen. Ebenfalls sollte eine interdisziplinäre und in-klusive Ausrichtung gesucht werden. Dabei sollte versucht werden, die Diversität der Schweizer Hochschul- und Wissenschaftsforschung in allen Sprachregionen zu repräsentieren. Die Punkte, die als zu vermeidende Aspekte der Institutionalisierung identifiziert wurden, spiegelten in vielen Hinsichten die identifizierten Desiderata (mit umgekehrten Vorzeichen) wider: Es sollte keine Reduktion auf Anwendungsforschung stattfinden und eine Abhängigkeit von wissenschaftsexternen Interessen vermieden werden. Ebenso sollte die Institutionalisie-rung darauf Wert legen, nicht exklusiv (sondern inklusiv) ausgestaltet zu sein: Sie sollte für alle Disziplinen offen sein, nicht ausschliesslich an einer Hochschule angesiedelt sein, und keine Landesregion ausschliessen (Stichwort «Röstigraben»).

Workshopteilnehmende im Gespräch bei Sonnenschein im Garten vor den Workshopräumen
Workshopteilnehmende im Gespräch bei Sonnenschein im Garten vor den Workshopräumen

What’s next?

Der Workshop «Forschung zu Hochschulen und Wissenschaft in der Schweiz» bot ein Forum, in dem sich einschlägig interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über den gegenwärtigen Stand der Forschung und wünschenswerte Formen der stärkeren Institutionalisierung austauschten.

Es zeigte sich nicht nur, wie vielfältig und vielversprechend sich die Forschungslandschaft gegenwärtig darstellt, sondern auch, dass der Wunsch nach stärkerer wechselseitiger Sichtbarkeit und Koordination in der wissenschaftlichen Community stark ist. Die gemeinsame Diskussion am Dienstagnachmittag förderte dabei ein erstes Bild möglicher Formen der Institutionalisierung zutage.

An dieser Auslegeordnung gilt es nun anzusetzen. So verständigten sich die Workshopteilnehmenden in der Abschlussdiskussion, dass die im Rahmen dieser Veranstaltung begonnene Diskussion weitergeführt werden und in die Form konzeptueller Grundlagen gebracht werden soll. Die Teilnehmenden verständigten sich da-rauf, dass im Verlauf des Jahres 2020 ein Anschlussworkshop – möglicherweise in der Westschweiz – stattfinden soll.

Download

Der ausführliche Bericht mit weiteren Informationen und Grafiken steht zum Download verfügbar:

Tagungsbericht (PDF, 1 MB)

Weiterführende Informationen

CHESS

Kompetenzzentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung

chess.uzh.ch